Landkarte / Prozess / Schreiben

Schreiben Seite 4

Chaos. — Muss man chaotisch schreiben, um Chaos zu beschreiben?

Klare Sätze. — Die klarsten Sätze sind die unberechenbarsten, da ihre Klarheit auf nichts weiter beruht als auf schlichter Konvention.

Schreibwissen. — Man schreibt nicht über das, was man weiß, sondern man schreibt, um herauszufinden, was man weiß.

Analogien. — Wenn Jules Renard schreibt, seine Feder ver­brann­te das Pa­pier wie ein feu­ri­ges In­sekt, so stellen wir gleich drei Fragen: Wie ist der biologische Name dieses brandgefährlichen Insekts? Aus welchem Material ist die Feder, die beim Schreiben überhitzte? – »Und die dritte Frage?«, fragt Palim. — »Kommt gleich«, antworte ich und starte die explorative Suche.

Arbeitssucht:
Wörter an Wörter setzen.

Reihenfolge. — »Ich be­gin­ne nie mit Fi­gu­ren. Ich be­gin­ne mit einer Si­tua­ti­on, einem mo­ra­li­schen Feh­ler, und dann ver­su­che ich her­aus­zu­fin­den, mit wem was ge­schieht.« Schreibt mir N. Er ist ein höchst at­trak­ti­ver Schrift­stel­ler, ein qui­cker Geist, eine agile Feder, ein prä­zi­ser und wit­zi­ger For­mu­lie­rer, ge­bil­det, wohl­wol­lend und welt­ge­wandt. Und dennoch ist er kein Bestseller.

Szene. — Er wie­der­hol­te sein Credo von der Vor­läu­fig­keit allen Wis­sens. Dann ver­ließ er den Zeit­raum.

Autortipp: An jede Woche zwin­gend einen Schluss­punkt set­zen.

Wie und Warum. — Nicht das mo­men­ta­ne Wie bringt eine Sache auf den Punkt, son­dern das andau­er­nde Warum.

Literarische Figur. — Auf die Frage, wer Mr. Cashmore aus Henry James’ The Awkward Age ist, antwortete der Schriftsteller und Literaturtheoretiker William Gass: »Mr. Cashmore ist (1) ein Laut, (2) ein Eigenname, (3) ein komplexes System von Vorstellungen, (4) eine Betrachtungsweise, (5) ein Mittel der sprachlichen Organisation, (6) eine vorgebliche Referenzialität und (7) eine Quelle sprachlicher Energie.« Palim fragt Sie: »Auf wie viele Merkmale kommt Ihre Figur?«

Schreiben und Möhre. — Für Tom Hogdkinson, ein Freund des müszigen Lebens, ist das Schreiben eines Artikels genauso wichtig oder unwichtig, gut oder schlecht, wie das Ausgraben einer Möhre. Dieses autorische Credo erscheint uns als eine Art höherer Lebenskunst.

 
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