Dem einen Buchliebhaber sind vierhundert Bände in einer Bibliothek schon genug, ein anderer kauft einen Landsitz für seine dreißigtausend Bücher und noch ein anderer lässt ein eigenes Bauwerk errichten, um fünf Regalkilometer Bücher darin unterzubringen. Wo verläuft die Grenze zwischen Bibliophilie und Bibliomanie? Wann wird die Bücherliebe pathologisch? Eine Erkundung.
Private Bibliotheken
Im Jahre 2000 erwarb Alberto Manguel, Autor der Bestseller Die Bibliothek bei Nacht und Die Geschichte des Lesens, im französischen Dorf Modion, das in der Gegend von Poitou-Charentes liegt, ein Anwesen aus dem Mittelalter. Hier brachte er seine mehr als dreißigtausend Bände umfassende Bibliothek unter, für die er in Paris keine bezahlbare und präsentable Bleibe hatte finden können. In diesem hortus conclusus, einem Paradies des lesenden Geistes, sind die rauhen Wände ringsum vom Boden bis zur Decke mit exquisit gestalteten Regalen verkleidet. Manguel schreibt über diese Bibliothek:
Tagsüber ist die Bibliothek ein geordnetes Reich. Ich bewege mich zielstrebig durch die senkrechten und waagrechten Buchstabenkorridore. Nachts aber verändert sich die Atmosphäre. Unversehens bekommen meine Bewegungen etwas Verstohlenes, Geheimnisvolles. Ich verwandle mich in eine Art Geist. Die Bücher sind jetzt die wahren Lebewesen, die mich, den Leser, durch die kabbalistischen Rituale halbverschwommener Buchstaben heraufbeschwören und zu einem bestimmten Band, einer bestimmten Seite locken. Ein Buch ruft überraschend nach einem anderen, schafft Bündnisse über Kulturgrenzen und Jahrhunderte hinweg.
— Alberto Manguel, Die Bibliothek bei Nacht
Eine ganz andere Einstellung zu Büchern offenbart ein nicht minder berühmter Schriftsteller. Pauolo Coelho schreibt in dem Faszikel Geschichten und Gedanken zum Thema »Von Büchern und Bibliotheken«:
Um mich auf das Wesentliche zu konzentrieren, beschloss ich, in meiner Bibliothek nur vierhundert Bücher zu behalten – einige aus sentimentalen Gründen, andere, weil ich sie immer wieder lese. Diese Entscheidung habe ich aus verschiedenen Gründen getroffen, und einer davon ist, dass es mich immer traurig stimmt, wie Bibliotheken, die sorgfältig ein ganzes Leben lang aufgebaut wurden, am Ende respektlos nach Gewicht verkauft werden. Außerdem: Warum soll ich all diese Bücher im Haus verwahren? Um meinen Freunden zu zeigen, dass ich gebildet bin? Als Wandschmuck?
— Pauolo Coelho, Sei wie ein Fluß, der still die Nacht durchströmt
Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen?
— Karl Kraus
»Alles Gedruckte fasziniert mich. Ich liebe Papier«, verriet der Modeschöpfer Karl Lagerfeld einst in einer Reportage von AD Architectural Digest. »Ich lese immer drei, vier Bücher gleichzeitig, Unterhaltsames und Anspruchsvolles parallel.« Die meisten seiner Bücher stehen in Elhorria, seinem Landsitz in Biarritz. Ein fünfzig Meter langer Betonbau beherbergt die Bibliothek. Lagerfeld archivierte seine Literatur präzise und pedantisch: Fast fünf Regalkilometer Bücher – geschätzte 250.000 Bände – stehen geordnet nach Gattungen. Lagerfeld: »Ich weiß, wo was steht. Ich kann anrufen und sagen: Regal Nr. 3, zweites Fach von oben, der Umschlag sieht so und so aus.«
Literatur
Volker Faust: Über den krankhaften und heilsamen Umgang mit Büchern | Karl Lagerfeld: Unterwasser-Hifi und fünf Kilometer Bücher. na Presseportal, 18.10.2004.
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