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Kritik

Was einen guten Kritiker ausmacht. — Eine provozierende, für Überraschungseffekte allemal gute Respektlosigkeit im kritischen Umgang mit anerkannten Autoritäten.

Nur Beobachter. — Der heutige Buchkritiker schreibt keine Buchkritik. Er beschreibt als teilnehmender Beobachter den Buchmarkt, sonst nichts.

Fehlend. — Es gibt zu viele Buchkritiker. Was uns fehlt sind Leserkritiker.

Zivilisierte Kritik. — Schade, dass heute keine Buchkritik mehr mit den Worten »Mir ist das Buch psychosomatisch schlecht bekommen« beginnen darf. Wir sind zu zivilisiert, zu rationalisiert, zu semantisiert.

Reaktionen. — Es ist zu fragen, ob eine Buchkritik, die in einer Zeitung veröffentlicht wurde, einen Autor jemals veranlasste, die Art, wie er schreibt, bewusst in irgendeiner Weise zu verändern.

Kultur. — Buchkritik ist eine dominante, allerdings uneinheitliche Kultur, in der das Denken, sein Entfalten und das Kommunizieren nur im und mit dem Buch stattfindet.

Andererseits. — Ein Buch ohne Rezension ist wie eine angeschlagene Glocke ohne Resonanz.

Jubel. — Am Ende einer Theateraufführung bejubeln wir die Leistung der Schauspieler. Gut, hin und wieder buhen wir sie auch aus. Was macht der Leser, wenn er ans Ende eines Buches kommt? Wen bejubelt, wen buht er aus? Eben.

Beweise. — Literaturwissenschaftler und Literaturkritiker sind im angelsächsischen und romanischen Raum ziemlich beste Freunde, nicht aber in Deutschland. Die einen mögen hierzulande den anderen gerne beweisen, wie man denn besser mit dem gemeinsamen Gegenstand – der Literatur – umzugehen habe.

Kritik sells.

Bei lebendigem Leib. — Die Kritik mortifiziert das Werk eines zeitgenössischen Autors – noch, schon, überhaupt nur – zu dessen Lebzeiten.

Monumentalkritik. — Marcel Prousts À la recherche du temps perdu bezeichnet Matthias Zschokke als Jahrhundertwerk, Mammutunternehmen, Perlendünnpfiff, triefend süßes Zeug, entbehrungsreiche Beschreibungs- und Betrachtungssteppen, monumentales Baiser, monströser Eintopf aus Salon-Anekdoten, einer von des Kaisers neuen Romanen, Brei, Schmarren, Episoden-Bouquet, Bibel für Betriebsnudeln. Und das auf nur auf siebenundfünfzig Druckseiten (abzüglich der Paratexte wie Titelei, Dank, Selbstwerbung etc.).
— Alexandre Métraux, Wut über die verlorene Zeit. [literaturkritik.de/zschokke-ein-sommer-mit-proust-wut-ueber-verlorene-zeit,26024.html] – 2020-06-20.

Kritisch lesen. — Das Werk Anderer sollte man durchaus kritisch lesen, jedoch mit der zugegebenermaßen schwierigen Annahme, die Anderen könnten Recht haben.

Typisch kritisch. — Er sagte, es sei eine jener typischen Kritiken aus der New York Times Book Review: fair bis in die Zehenspitzen, immer darauf aus, vor den Einwänden das Positive zu benennen.