Über Leselemminge
Meine Feder verbrannte das Papier wie ein feuriges Insekt.1
Paare, wie in einem Edward-Hopper-Gemälde, die Blicke zufällig aufeinander treffend, wenn sie mal nicht auf das Mobile starren, und kein Wort, kein Satz zu hören, man hat sich nichts mehr zu sagen – warum auch, steht doch alles auf dem Display.2
Der Irrwitz und die Tragödie unserer Welt liegen verborgen in der Menge des Geldes, die uns täglich umflutet, Banken beflügelt und die Börse berauscht. Wenn sich diese Menge ins Unendliche ausdehnen lässt – wie wir staunend beobachten –, wenn zudem die Bedürfnisse des Menschen potenziell ebenso unendlich sind wie seine Ideen und sein Gewinnstreben, die irdischen materiellen Ressourcen unserer Erde aber begrenzt sind, muss diese Konstellation nicht zwangsläufig zu einem Kollaps führen?3
»Drücken Sie den Warumboxknopf.
Doch nicht jetzt!«
Wenn die Vielen das gleiche Buch lesen, folglich eine Massenware, ein Geschäft, Konsum aus ihrem kollektiven Lesen machen, wer wollte da noch von Stil, Anspruch oder literarischem Geschmack reden? Diese Leselemminge unterliegen einer systemischen, clever eingefädelten Konditionierung eines umfassend agierenden Buchproduktionsbetriebs: von Autoren, die, in speziellen Kreativschulen ausgebildet, massenkompatible Figuren, Plots, Szenen und Gefühle formulieren, von auf Absatz getrimmten Lektoren, von Hype organisierenden Marketiers, von präparierten Feuilletonisten und Kritikern, schließlich von einem Buchhandel, der gerne alles verkauft, was sich reißerisch auf breiten langen Tischen hoch stapeln lässt.4
Soziale Netzwerke sind das Nikotin der Informationsgesellschaft: Sie machen abhängig. Abhängig von vermeintlicher Information.
Unsere Zeit ist schnelllebig. Wir erwarten Rezepte, die möglichst rasch zum Erfolg führen sollen. Was uns aber, gerade im Hinblick auf die Kunst des Lesens, not tut, ist die Besinnung auf das Geistige, die Liebe zur Sache und ein lebendiges Spüren für das im Wort Wirksame. Nur auf diese Weise kommt unsere Zeit über das Zweckhafte der Umgangssprache und deren drohenden Verfall hinaus, wieder zu einer Kultur des Wortes.5
Mitarbeit
1 Jules Renard | 2 Julia Parisani | 3 Parker Adams: Ironie des Punktums | 4 Bodo Wortsinn: Kreativität ist ein Nichtwert | 5 Klaus Trofob.